Kurzgeschichten

Die Mitglieder der IG Schildkrötenfreunde Aargau erzählen von eigenen Erlebnissen mit ihren Lieblingen, schildern Beobachtungen und schwärmen von Reisen in ferne Lebensräume von Schildkröten. Das Aufschreiben übernimmt Graziella Jämsä, jedoch sind Namen und Orte allesamt der Fantasie entsprungen. Wer mehr von Graziella Jämsä lesen will, kann dies auf www.wortemalen.ch.

  • Der Hilferuf von Tört und El

    Ich Tört und mein Kollege El leben in einem Dorf in den Bergen. Unser Auslauf misst 4x4 Meter und ist mit einem 50 cm hohen Stabdrahtzaun eingezäunt. Durch diesen sehen wir erstrebenswerte Verstecke und viel Interessanteres als in unserem vorgegebenen Gefängnis.

    Oft geben wir uns dermassen auf den Geist, dass wir uns sehr streiten und beissen. Da sehnen wir uns nach einer abwechslungsreicheren Umgebung. Wir haben ein kleines, heugefülltes Holzhäuschen, wo wir uns für die Nacht einquartieren. Oft riecht es da etwas muffig, da das Heu schnell zu schimmeln beginnt, aber besser als gar nichts.

    Unser Gehege ist mit Rasen bewachsen und so werden unsere Krallen leider immer länger, da sie nicht abgenutzt werden.

    Wir haben im Gehege eine Blautanne, aber da ihre Äste nicht bis zum Boden reichen, können wir uns hier weder zurückziehen noch verstecken. Auch der grosse Felsbrocken gefällt wohl nur unseren Besitzern.

    Eine Wasserschale gibt es auch noch in unserem Auslauf, die lieben wir sehr.

    Täglich bekommen wir frischen Salat, Tomaten, Pfirsiche, Broccoli,  Blumenkohl und andere Leckereien. Sowas bekommen unsere Kollegen im Naturbiotop wohl kaum. Dafür plagen sie auch weniger Stoffwechselkrankheiten wie Höckerwachstum, Gicht, Hornschneidenprobleme und Durchfall.

    Manchmal haben wir Lust auf Kräuter und Blüten, aber das gibt es bei unseren Pflegern nicht. Dafür machen sie sich Sorgen, wenn es regnet, denn da werden wir sofort auf den geschützten Balkon gebracht. Manchmal wäre aber…

  • Ich darf mich vorstellen…

    Mein Name ist Karl der Kühne. So hat es die Pflegefamilie, die mich beherbergt, sorgfältig auf meinem Datenblatt eingetragen. Die wissenschaftliche Bezeichnung für mich und meine Artgenossen lautet Testudo hermanni hermanni. Bevor ich hier sesshaft geworden bin. Lebte ich als Vagabund mal hier mal da. Mein Vorbesitzer hatte mich vor vielen Jahren bei einem Waldbrand in Italien gerettet und in die Schweiz mitgenommen. Doch meine Neugier auf die Welt war einfach übermächtig. Auf einer meiner Entdeckungstouren erlitt ich einen schweren Unfall mit einem landwirtschaftlichen Mähwerk. Weil der Bauer sich vor dem Anblick ekelte, wurde ich jeweils wegbefördert, wenn ich wieder im gemähten Gras auftauchte. Eines Tages erzählte die Frau des Bauern erzählte meinen heutigen Besitzern von mir und diese schritten beherzt ein. Sie nahmen sich meiner an, versorgten meinen beschädigten Panzer, meine Wunden und mein lahmes Bein. Ein Bein, das nicht mehr voll beweglich ist, wird auf einer Flucht zum Handicap kann ich euch sagen. Das Resultat nach einem Raubtierübergriff? Mein Bein musste amputiert werden. Seither trage ich, Karl der Kühne, den liebevollen Spitznamen Kari Dreibein. Die Amputation war nicht die letzte meiner Hürden. Doch ich habe alles überlebt und erfreue mich heute bester Gesundheit. Davon konnte sich zufällig auch mein ehemaliger Besitzer überzeugen, als er mich während eines Besuchs meiner heutigen Herbergsfamilie sofort wiedererkannte. Aber nicht nur ich wurde…

  • Eine Entdeckung der lebendigen Art

    Markus liebte Schildkröten. Er erinnert sich noch genau an seine erste Begegnung mit den Reptilien. Er war gerade in den zweiten Kindergarten gekommen, da ging die Gruppe auch schon auf die Reise in den Zoo Zürich. Er stand vor dem Gehege und schaute der Galapagos-Schildkröte in die Augen. Es war, als könnte er darin die ganze Welt entdecken. Er wollte unbedingt auch Schildkröten haben. Natürlich kamen für ihn keine Galapagos-Schildkröten in Frage, aber im Garten halfen ihm seine Eltern dann, nach reichlicher Abklärung eine passende Anlage für Griechische Landschildkröten anzulegen. Die Faszination blieb. Auch als er seine Ausbildung zum Koch begann. Darum fiel es ihm umso schwerer einen Grossteil der Schildkrötenpflege während der Woche an seine Mutter zu übertragen. Weil er ihr die zusätzliche Arbeit mit dem Ausbrüten der Schildkröteneier ersparen wollte, grub er die gelegten Eier aus. Doch er behielt sie als zusätzliches Anschauungsmaterial wenn ihn Bekannte nach den Griechischen Schildkröten fragen sollten. Sorgfältig brachte Markus die Eier in seinem Setzkasten unter und zeigte sie gerne her. Doch eines Morgens kam die Mutter zum Lüften in das Zimmer ihres Sohnes. Sie wandte sich gerade wieder zum Gehen als ihr Blick auf den Nachttisch fiel. Da stand ein winziges Schildkrötli. «Seit wann hat er denn das?», überlegte sie sich. Als das kleine Wesen sich bewegte, traute sie ihren Augen nicht. Doch schon bald hatte sie des Rätsels Lösung. Der Schlüpfling musste aus dem…

  • Fürs Leben gelernt

    «Mama ich will eine Schildkröte.» Verdutzt sah Lotta Panzerburg ihren jüngsten Sohn an. «Eine Schildkröte? Wie kommst Du denn darauf?» Lukas erklärte: «Wir sollen nach den Sommerferien einen Vortrag über Haustiere halten – aber wir haben keins. Und über einen Hund will ich nicht schreiben.» «Aber darum holt man sich doch nicht einfach ein Reptil ins Haus.» Lukas verzog das Gesicht. «Und worüber soll ich schreiben?» Seine Mutter antwortete: «Lass mich eine Nacht darüber schlafen, morgen reden wir weiter.» Als kurz nach 22 Uhr alle Kinder in ihren Betten lagen setzte sich Lotta Panzerburg an ihren Computer und recherchierte zum Thema Schildkröten. Bilder verstümmelter Tiere und von Souvenirs aus deren Panzer gefertigt, erschreckten die junge Mutter. Irgendwann stiess sie auf eine regionale Informationsseite. Als Experte stand dort der Name eines Tierarztes aus der Nachbargemeinde. Sie notierte sich die Telefonnummer, um ihn am kommenden Tag anzurufen. «Morgens ist Lukas sowieso noch zu müde für grosse Diskussionen», dachte Lotta Panzerburg bevor sie selbst schlafen ging. Und sie sollte Recht behalten. So konnte sie ihren Sohn beim Mittagessen überraschen. «Heute Nachmittag besuchen wir Dr. Tierwohl in der Schildkröten-Auffangstation.» «Was ist denn eine Auffang-Station?» «Das wird er dir heute Nachmittag sicher gerne erklären.» Doch vor Ort angekommen schwieg Lukas erst einmal. Mehr als 20 Schildkröten waren im Gartengehege Zuhause. «Faszinierend nicht wahr?» sprach…